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Sind Pflichtverteidiger die schlechteren Verteidiger?

Kürzlich strahlte die ARD eine interessante Dokumentation über die Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe aus (Heer, Stahl und Sturm). Diese wurden wegen ihrer Strategie (Rat zur Aussageverweigerung) von der Öffentlichkeit teilweise harsch kritisiert. Als das Gericht einen weiteren Pflichtverteidiger beiordnete und sogar noch ein Wahlverteidiger hinzukam und die beiden neuen Verteidiger die Strategie schliesslich änderten, verstanden viele, weshalb die drei ursprünglichen Verteidiger ihrer Mandantin die anfängliche Strategie empfahlen.

Auch in der Schweiz geraten Strafverteidiger immer wieder in Kritik – so zum Beispiel auch der Verteidiger des „Schachtdeckel-Werfers“ von Winterthur (s. Bericht im Tagesanzeiger). Ob diese Kritik berechtigt war oder nicht, mag dahingestellt bleiben. Dennoch herrscht häufig das Vorurteil, dass Pflichtverteidiger eine Art Verteidiger 2. Klasse seien oder gar mit dem Staat unter einer Decke stecken würden. Kritik kommt aber auch aus den eigenen Reihen: Gewisse Strafverteidiger sehen teilweise andere Kollegen als reine „Geständnisbegleiter“, die lediglich darauf erpicht sind, ihr Honorar "abzusitzen" (s. Bericht in Die Kolumnisten).

Der Begriff Pflichtverteidiger existiert in der StPO nicht. Der juristisch korrekte Ausdruck lautet amtliche Verteidigung. Ein amtlicher Verteidiger wird auf Antrag des Beschuldigten bestellt, wenn es sich um keine Bagatelle handelt, der Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet und die beschuldigte Person diesen nicht gewachsen ist sowie auch nicht über die erforderlichen Mittel verfügt (vgl. Art. 132 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 sowie 3 StPO). Schliesslich muss ein amtlicher Verteidiger bestellt werden, wenn ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt (z.B. mehr als 10 Tage Untersuchungshaft, Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr, Landesverweisung, etc.; s. Art. 130 StPO).

Bestellt wird der amtliche Verteidiger von der Verfahrensleitung, d.h. in den meisten Fällen von der Staatsanwaltschaft. Ja, Sie haben richtig gelesen! Der Staatsanwalt kann seinen „Gegner“ selber auswählen. Fähigkeitskriterien, die ein Strafverteidiger erfüllen muss, existieren keine. Ein Eintrag im Anwaltsregister und die Aufnahme im kantonalen Verzeichnis der amtlichen Verteidiger genügen. Wenn man Glück hat, erwischt man einen fähigen und engagierten Verteidiger. Wenn man Pech hat, einen „Geständnisbegleiter“.

Viele Beschuldigte wissen nicht, dass ihre Wünsche bezüglich der Person des amtlichen Verteidigers zu berücksichtigen sind (Art. 133 Abs. 2 StPO). Ob sie von den Untersuchungsbehörden klar darauf aufmerksam gemacht werden, ist fraglich.

Pflichtverteidiger sind sicher nicht per se die schlechteren Strafverteidiger. Dennoch ist Beschuldigten zu empfehlen, den amtlichen Verteidiger selber vorzuschlagen, falls eine Wahlverteidigung nicht möglich sein sollte. Einen Verteidiger zu akzeptieren, der mehr oder weniger zufällig festgelegt wird, birgt gewisse Risiken. Man sollte sich auch nicht unter Druck setzen lassen. Solange die Frage der Verteidigung nicht geklärt ist, empfiehlt es sich ausserdem, die Aussage zu verweigern.

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